Die Entwicklungshilfe-Parabel: Der systemische Denkfehler
Ich schaue gerne immer wieder in „alte“ Schriften und Bücher, da die Probleme, die gegen EZ sprechen, nicht erst seit heute, sondern schon immer bestehen. Bereits in seinem 2002 erschienen Buch hat sich Richard Rottenburg damit befasst:
Weit hergeholte Fakten: Eine Parabel der Entwicklungshilfe
Bei amazon.de, wo das Buch heute noch für fast EUR 30,- erworben werden kann, wird folgende Rezension aus der Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 03.12.2002 zitiert:
„Andreas Rosenfelder urteilt in der FAZ: ein ‚epistemologischer Thriller über die Entwicklungshilfe". Er schreibt u.a. "... Rottenburg, als Feldforscher viele Jahre in Afrika unterwegs, erkundete für seine "Parabel der Entwicklungshilfe" die Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit. Doch anstatt verstummt aus dem Felde der Institutionskürzel zurückzukehren, das der Ethnologe mit seinem Diktiergerät wie mit einer Wünschelrute durchforschte, verwandelt Rottenburg die Sprache der Systeme in Poesie. Schon die Einführung der Phantasieländer Normland und Ruritanien und die Verschleierung der Namen weist alle Beteiligten als Gefangene ihrer Fiktionswelten aus ... und aus diesem Spiel gibt es für keinen Mitspieler ein Entkommen. ... Wie die durchgerosteten Schiffe im Hafenbecken und die Lastwagenwracks am Straßenrand übersäen die Überreste verendeter Projekte den afrikanischen Kontinent. Doch im zutiefst widersprüchlichen Grundgedanken der Entwicklungshilfe, die unvermeidlich sowohl auf die Selbständigkeit des Empfängers als auch auf die Vorbildhaftigkeit des Gebers abstellt, sucht niemand den Fehler. ...’ “
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Die Apologeten der EZ meinen ja immer, sie hätten das Instrumentarium im Laufe der Zeit so verfeinert bzw. verbessert, dass „alte“ Kritik nicht mehr zutrifft. Sie übersehen dabei, dass es sich um strukturelle und systemische Probleme handelt, die nicht durch eine Verbesserung der Instrumente und Verfahren behoben werden können. Die Paris Declaration lässt grüßen!
Rottenberg hat das m.E. sehr gut beschrieben (Seite 90):
„Die zeitgenössischen komplexen Gesellschaften Afrikas sind in soziale Welten gegliedert, die intern als Konsensgemeinschaften wahrgenommen werden. In den voneinander getrennten sozialen Welten ist wirtschaftliches und politisches Handeln sozial und kulturell eingebettet, so dass ökonomische und politische Rationalität gemeinschaftlicher Rationalität weitgehend untergeordnet bleibt. In der Sprache Max Webers würde man sagen: Die sozialen Welten erleben sich als Binnenwelten, die sich von ihren Außenwelten dadurch abgrenzen, dass sie zwischen Binnen- und Außenmoral unterscheiden. Während die Verpflichtung zu gegenseitiger Hilfe in der Binnenwelt hoch oben in der Wertehierarchie rangiert, sinkt sie in der Außenwelt unterhalb des Nullpunktes. Eine Folge daraus ist, dass der soziale Raum zwischen den Binnenwelten moralisches Niemandsland ist: hier gilt ein hemmungsloser Erwerbstrieb und es kommt zu einer sich ausbreitenden Käuflichkeit bei allen, die sich hier begegnen.
(…)
Die empirische Kasuistik, zu der man mit Hilfe dieser modernisierungs-theoretischen Folie kommt, lässt in den komplexen Gesellschaften Afrikas folgendes Grundmuster erkennen: Transaktionen, die im Rahmen von Märkten oder Bürokratien stattfinden, werden nicht durch Systemvertrauen, sondern primär durch persönliches Vertrauen abgesichert. Dort, wo die Ethik des Marktes oder der Bürokratie gelten sollte, greifen die Akteure auf die Ethik der Binnenwelt zurück: Die Verpflichtung zu gegenseitiger Hilfe gegenüber konkreten Menschen wird höher eingeschätzt als die Verbundenheit gegenüber unpersönlichen Verfahrensregeln. Schutz- und Loyalitätsverpflichtungen im Rahmen von Verwandtschaft, Freundschaft und Nachbarschaft sowie im Rahmen von Person-Klient-Beziehungen sind wichtiger und verbindlicher als die Befolgung von Regeln, deren Sinn darin besteht, dass sie gerade ohne Ansehen der Person gelten. Sobald sie einmal in Gang gebracht wurden, verstärken sich die Rückgriffe auf Brüderlichkeit rekursiv und werden endemisch. Haben zwei Leute sich erst einmal auf eine Transaktion eingelassen, die in Bezug auf die offiziellen Verfahrensregeln illegal ist, halten sie zukünftig wie Pech und Schwefel zusammen, um die wechselseitige Gefährdung zu minimieren. Das Ergebnis der so skizzierten Vergesellschaftungslücke ist oft eine spezifische Form der Anomie.“
Wenn ich mich gegen EZ ausspreche, dann tun die Apologetenimmer so, als würde ohne sie dann gleich ganz Afrika (noch mehr) am Stock gehen und alles zusammenbrechen (ich überspitze). Das ist aber eine unglaubliche Missachtung der Intelligenz und persönlichen wie wirtschaftlichen Ressourcen der afrikanischen Partner -- wobei zwar immer von Partnern auf Augenhöhe gesprochen wird, im Grunde aber nach wie vor eine koloniale Mentalität an den Tag gelegt wird. Vor allem wird übersehen, dass Afrika ohne unsere EZ besser dran wäre! Hier stimme ich Rotteburg zu bzw. werde von ihm bestätigt, der im Rahmen der Beschreibung von „Spielrunden“ (d.h. von EZ-Projekten bzw. deren positiver Wirkungen) ausführt (Seite 70):
„Es kann schon sein, dass als Nebeneffekt solcher Spielrunden ein paar erfüllt werden. Doch offenbar sind diese Veränderungen nicht groß genug, um das Spiel erfolgreich zu Ende zu bringen. Hier drängt sich der Verdacht auf, dass die Fortführung dieses Spiels die Entstehung eines anderen, vermutlich besseren Spiels verhindert. Wenn das so ist, bestünde die wichtigste Folge der Entwicklungskooperation in der Verhinderung von besseren Möglichkeiten. Und hier drängt sich gleich der nächste Verdacht auf: Die Verhinderung scheint auf der Arena der Entwicklungskooperation selbst zustande zu kommen, sie lässt sich weder auf Mechanismen zurückführen, die allein in der Gesellschaft verankert sind, um deren Entwicklung es geht, noch auf Mechanismen, die vor allem in den so genannten
Noch einmal, nach fast 31 Jahren in der EZ bin ich davon überzeugt: Sie richtet mehr Schaden an, als sie Positives bewirkt. Vor allem auch deshalb, weil die einzige Daseinsberechtigung der EZ völlig in den Hintergrund getretene ist: EZ muss sich selbst überflüssig machen. Das hat unser neuer Minister kürzlich mal wieder ins Bewusstsein gerufen (>> Im FAZ-Gespräch: Dirk Niebel). Hier zeigt sich auch der Vorteil fachfremder Minister: Sie sprechen die Wahrheit so klar und unschuldig aus. Mal sehen, wie lange noch!
Ich muss auch noch einmal betonen, dass das Herunterfahren der EZ (bzw. die Entwicklung einer Exit-Strategie) NICHT bedeutet, dass damit das Ende der Beziehungen zwischen Afrika und den Rest der Welt eingeläutet würde. Das Gegenteil wäre der Fall!
Weitere >> Leseproben des Rottenburg-Buchs.
3 Kommentare:
Na, was ist das fuer ein Minister, der vor kurzem noch (als Parteifunktionaer!) die Abschaffung des gesamten Ministeriums gefordert hat. Dafuer hatte er meine Unterstuetzung. Jetzt ist er schon auf dem siegreichen Rueckzug, schliesslich wurde er an die Futterkrippe gelassen und ist nun Minister, Minister ohne Ahnung!
Christian Potyka
Reden, reden, reden... Kritik an der Entwicklungshilfe ist so alt wie Entwicklungshilfe selbst... je mehr ich suche, desto mehr kritische Beitraege finde ich.. aber wann passiert da endlich mal was?
Was glauben wir von Afrika zu wissen? Wer der Entwicklungshilfe kritisch gegenüber steht wird in die Ecke "sozialer Kälte" gestellt. Aber ich habe nicht den Eindruck, dass die Akteure der Entwicklungshilfe sich je Gedanken machen, ob ihr Produkt bei den Bedürftigen in Afrika auch gut ankommt, gebraucht und verstanden wird. Hilfe darf nicht die Leistungsbereitschaft untergraben. Entwicklungszusammenarbeit befindet sich seit Jahren in einer Sphäre des Wünschbaren und ist nicht Gegenstand einer dringend nötigen öffentlichen Debatte. Irrig ist die Vorstellung, dass Entwicklungshilfe Migrantenströme verringert. Die Entwicklungshilfeindustrie scheint fast immun gegen Rückschläge. Das Geld muss um jeden Preis ausgegeben werden. Aber geschenkte Finanzmittel -wie Budgethilfe- zumal sie auf Dauer und in hohem Umfang ohne echte Wirkungskontrolle fließen, verleiten auch zur Finanzkriminalität. Wichtiger aber ist, dass sie die Leistungs-und Reformbereitschaft mindern oder behindern und es zudem reformwilligen Politikern erschweren, Leistungen zu verlangen und Veränderungen herbeizuführen. Ernst nehmen sollten wir Afrikaner, die überzeugt sind, dass es ohne Entwicklungshilfe weniger Korruption gäbe. Ja wir sollten helfen wenn nötig, d.h. aber nur wenn Eigeninitiativen an ihre Grenzen kommen. Sinnvoll ist es die Fähigkeit und Bereitschaft sich selbst zu helfen zu fördern. Bislang ist die "Hilfe zur Selbsthilfe" aber oft eine leergedroschene Phrase. Das Evaluierungssystem der staatlichen Hilfe begünstigt eine milde Grundhaltung. Wir sollten mit dem Privatsektor mehr als bisher kooperieren, etwa Fraueninitiativen unterstützen, die einen Radiosender oder Schulen betreiben wollen. Oder Risikokapital bereitstellen für den Aufbau von Fabriken. Aber weg von dem "Bemutterungsnetzwerk" wie es der Koordinator des Bonner Aufrufs Kurt Gerhardt nennt. Sobald wir helfen, projizieren wir unsere Vorstellungen davon, was gut und richtig sein soll, auf die Afrikaner. Dort wo es den politischen Willen gibt demokratische Rahmenbedingungen zu schaffen sollten wir dies auch unterstützen. Aber die Initiative muss von Afrika ausgehen. Jene Programme die nicht von Regierungen ausgehen und unterstützt werden, sollten nicht weitergeführt werden. Dort wo die Anforderungen an eine gute Regierungsführung verstanden wurden und demokratische Verhältnisse nicht nur vorgespiegelt werden, sind auch Ansätze eines eines Wirtschaftswachstums festzustellen.
Volker Seitz, Autor "Afrika wird armregiert"
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