Diskussion über Themen der Entwicklungszusammenarbeit (EZ) in/mit Westafrika einschließlich (und vor allem) der politischen sowie sozio-ökonomischen Bedingungen in den Ländern und was EZ bewirken kann -- oder auch nicht -- oder ob sie aber nicht sogar schadet. ACHTUNG: In Ermangelung von Kommentaren lediglich Beiträge zu EZ-Themen. _________________________________________________________________

14. Januar 2007

Bedeutung traditioneller afrikanischen Strukturen für Ghanas Gegenwart und Zukunft

Anlässlich des Statsbesuchs von Bundespräsident Horst Köhler in Ghana habe ich im Rahmen einer EZ-Runde am 11.01.2007 folgendes Einführungsreferat zum obigen Thema gehalten:

Sehr geehrter Herr Bundespräsident, meine Damen und Herren,

Das Vertrauen in traditionelle Strukturen und damit in die Chieftaincy Institution ist in Ghana noch sehr groß. So gibt es empirische Nachweise dafür, dass sich ca. 90% der ländlichen und städtischen Bevölkerung im täglichen Leben auf traditionelle Strukturen verlassen. Das heißt dass man die Lösung von alltäglichen Problemen zunächst im Rahmen der traditionellen Normen und Werte sucht, bevor man sich an die Institutionen des modernen Staates wendet. Mein Kollege Bern Guri formuliert das so, ich zitiere: „The traditional authority system still remains the defacto governance system as the state and its institutions have still not penetrated into the bulk of the population yet.”[1]

Hier manifestiert sich ein Dilemma: Während also der Großteil der Bevölkerung die Chieftaincy Institution weiterhin als werte- und identitätsstiftend erlebt, stehen ihr viele Intellektuelle und insbesondere die politischen Eliten – zumindest offiziell – ablehnend gegenüber. Die Ursachen führen, wie man weiß, in die Kolonialzeit zurück. Wenn man sich daher für eine stärkere Integration traditioneller Autoritäten in die Strukturen des modernen Staates ausspricht, beispielsweise um sie für den sozio-ökonomischen Entwicklungsprozess nutzen zu können, muss man sich der historischen Hypothek des dem unabhängigen Nationalstaat vorausgegangenen traditionell-ethnischen Kolonialgebildes bewusst sein. Die Kolonialmacht instrumentalisierte über das Konzept der indirect rule traditionelle Autoritäten zur Herrschaftsausübung auf der untersten, der kommunalen Ebene (engl. local government). Die Chieftaincy Institution wurde somit für Zwecke der Kolonialmacht auf Kosten der Interessen der Bevölkerung missbraucht, was ihr nach der Unabhängigkeit den Vorwurf der Kollaboration mit dem Unterdrückungsregime einbrachte. Das hat dazu geführt, dass in der Verfassung des unabhängigen Staates der Institution der Chieftaincy lediglich nachgeordnete Funktionen wie die der Bewahrung von Tradition und Bräuchen zugewiesen wurden. Die Rolle im sozio-ökonomischen Entwicklungsprozess hatte jetzt der Staat übernommen und für traditionelle Strukturen blieb wenig Raum. Auch politisch wurden die Chiefs marginalisiert: In der Verfassung von 1992 wurde ihnen z.B. die parteipolitische Betätigung verboten, was einem Ausschluss am politischen Gestaltungsprozess gleichkam.

Wie wichtig aber die traditionellen Strukturen für die wirtschaftliche Entwicklung sind, zeigt sich beispielsweise am konfliktträchtigen Verhältnis von traditionellem zu politischem Recht. Die Abgrenzung der Zuständigkeiten ist in der ghanaischen Verfassung unzulänglich geregelt, was bei Sozialinfrastrukturvorhaben sowie Bauvorhaben und Wirtschaftsinvestitionen oft dazu führt, dass sie gar nicht oder nur nach langen Verzögerungen realisiert werden können. Hintergrund hierfür ist, dass auf kommunaler Ebene die District Assemblies zwar eine generelle Allzuständigkeit für „Entwicklung“ haben, die Chiefs aber im Besitz von mehr als 70 % der Ressource Grund und Boden sind. Die politischen und administrativen Akteure in der modernen Verwaltung scheinen diese Gegebenheiten oft zu ignorieren, bzw. lassen es auf eine Machtdemonstration zwischen den beiden Systemen ankommen. Wobei die Machtposition der Chiefs nicht im geschriebenen Gesetz liegt, sondern im Rückhalt, den sie in der Bevölkerung haben. Man „hört auf sie“, daher versuchen örtliche Parlamentsabgeordnete der jeweiligen Regierungs- und Oppositionsparteien verstärkt, die Chiefs für ihre parteipolitischen Anliegen zu instrumentalisieren. Der Nebeneffekt ist dann meist, dass Gegensätze zwischen zwei Skins, z.B. in einem Thronfolgedisput, durch parteipolitische Gegensätze noch verschärft werden.

Mir scheint eine genuine und effektive Einbeziehung der Chieftaincy Institution in die Strukturen des modernen Staats und damit in das moderne Staatshandeln wie die Daseinsfürsorge geradezu eine Conditio-sine-qua-non zu sein. Hierfür gibt es allerdings keinen Königsweg, da die Verhältnisse heute durch sich überlagernde, teilweise sich widersprechende Entwicklungen sehr komplex sind. Wegen der durch die Kolonialzeit hervorgerufenen Verwerfungen kann nicht einfach an vergangene Zeiten angeknüpft werden. So gab es beispielsweise im Norden Ghanas bei der Ankunft der Kolonialmacht gar keine Chieftaincy Institution – diese wurde erst von den Briten vom Süden in den Norden exportiert, um dort auch die indirect rule praktizieren zu können. Verkompliziert wird die Lage dadurch, dass die Kolonialzeit und vor allem die damit verbundene Verwestlichung des Bildungssystems, die die unabhängigen Staaten dann übernommen und weitergeführt haben, ganze Generationen von afrikanischen Intellektuellen und Eliten hervorgebracht hat, die ihre traditionellen Werte und ihre Kultur kaum noch kennen oder kennen wollen. Die unabhängigen afrikanischen Regierungen wollten modern sein und verdrängten damit ihre eigenen Roots. Es wurde mit aller Gewalt versucht, moderne, sprich westliche Normen durchzusetzen, um sich und den Staat möglichst nahtlos an die alten Metropolen London oder Paris ankoppeln zu können. Auch 50 Jahre nach der Unabhängigkeit trifft dieses Aussage leider zum großen Teil noch zu.

Um einen nachhaltigen Beitrag zur gemeinsamen Bewältigung moderner Staatsaufgaben leisten zu können, und um nicht nur als folkloristisches Beiwerk herzuhalten, müssen bei der Chieftaincy Institution allerdings Voraussetzungen geschaffen werden, die sie in die Lage versetzen, die an sie gestellten Anforderungen im Rahmen des gegebenen gesellschaftlichen Umfelds auch zu bewältigen. Denn die Institution hat heute erhebliche Defizite aufzuweisen, was ihren Gegnern Wasser auf den Mühlen bedeutet. So schreibt der bekannte Paramount Chief Nana Kobina Nketsia V in einem Beitrag für ein internationales Magazin, ich zitiere: „The contemporary Akan chieftaincy institution is very different from the original nature of the institution. Many of us are galaxies away from the thoughts and philosophy of the ancestors. We, the chiefs, are often power grabbing, money-loving, materialist, egocentric and arrogant individuals who are far from being the embodiment of humility.”[2] Ende des Zitats.

Es wird allerdings auch nötig sein, das angesprochene gesellschaftliche Umfeld selbst zu ändern, denn wir haben es hier mit einem gesamtgesellschaftlichen Phänomen zu tun. Die Grundlage für eine Veränderung kann nur in einem adäquaten Bildungssystem liegen, das einer modernen afrikanischen Kultur, basierend auf einem bewährten eigenen Wertesystem, genügend Platz einräumt. Ich möchte abschließend noch einmal Nana Kobina Nketsia V zitieren: „We must have a vision to revolutionise education, to bring in the human qualities of the African, and ensure that African culture becomes the vehicle of education.”[3]

Eines steht daher fest: Die Afrikaner müssen ihre eigenen Wege in dieser wie auch anderer Fragen finden, wir Europäer können und sollten sie dabei zwar unterstützen, aber nicht bevormunden.



[1] Bern Guri 2006: “Traditional Authorities, Decentralization and Development - A concept paper for strengthening the capacity of traditional authorities for good governance and development at the local level”, Accra, Centre for Indigenous Knowledge and Organisational Development (CIKOD), S. 3; pdf-Dokument, einsehbar » hier

[2] Nana Kobina Nketsia V: Education for endogenous development – Visions of a Paramount Chief; in: COMPAS Magazine, July 2006, S. 11.

[3] ebenda

Links:
- Hier ein Link zu Thema » Neglected Values: Recipes for Growth in Africa
- Hier ein Link zum Thema
» The developing world needs trade, not aid, to help the poor von James Shikwati, Direktor des Inter Region Economic Network (IREN) in Kenia und Experte für Afrikas wirtschaftliche Entwicklung

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Ein Kontinent nimmt sein Glück selbst in die Hand. 50 Jahre nachdem die Kolonien reihenweise dafür votierten, sich politisch von ihren Mutterländern zu trennen, erlangen sie schließlich tatsächliche Unabhängigkeit. Ausländische Hilfen werden zurückgefahren und endlich eingestellt, im Gegenzug gerechte Handelsbeziehungen geschaffen.

Soweit die Theorie. Wie Entwicklungshilfekritiker gern betonen, würde die Herstellung gerechter Handelsbeziehungen in erster Linie den Stopp der Subventionierung von Agrarprodukten bedeuten, wie sie USA und EU noch immer eifrig betreiben. Anders gesagt, um Afrika eine Chance zu geben, müssten die reichen Länder des Nordens ihre eigene landwirtschaftliche Produktion zurückfahren und beginnen, afrikanische Produkte zu importieren.

Soweit gar nicht so schlimm, gilt die Subventionspolitik doch ohnehin als zu teuer. Warum nur machen wir das nicht längst? Ist es wegen der französischen Bauernlobby, die seit Jahrzehnten gekonnt ihr Marionettenspiel treibt? Fürchtet man um die Lebensmittelqualität? Oder haben die Brüssler Bürokraten vielleicht einen Blick auf folgende Karte geworfen:


(Link)
http://images.google.de/imgres?imgurl=http://maps.unomaha.edu/peterson/funda/MapLinks/Africa2/Africa2_files/image017.jpg&imgrefurl=http://maps.unomaha.edu/peterson/funda/MapLinks/Africa-2/Africa2.htm&usg=__y8ZHlZGzVxvivjZ0pK-4ulJ-u8Q=&h=542&w=494&sz=38&hl=de&start=256&tbnid=dd8OtE8eWbpszM:&tbnh=132&tbnw=120&prev=/images%3Fq%3Dafrica%2Bagriculture%26gbv%3D2%26ndsp%3D20%26hl%3Dde%26sa%3DN%26start%3D240
(9. Karte von oben)

Zu sehen ist Afrika, wobei Gebiete mit reicher Vegetation (hoher landwirtschaftlicher Nutzbarkeit) dunkelgrün, Gegenden mit besonders geringer- dunkelbraun gekennzeichnet sind.

Welche Länder verbergen sich wohl hinter den grünen Flächen?

Von Nord nach Süd:
- Guinea (laut Transparency International das korrupteste Land Afrikas)
- Liberia (das Bürgerkriegsland schlechthin, die Tatsache, dass ganz Westafrika von Flüchtlingen liberianischer Herkunft überseht ist, spricht für sich)
- Elfenbeinküste (beherbergt einen schwelenden Bürgerkrieg und etwa 8000 UN Peacekeeper)
- Kamerun (trotz eher zweifelhafter Wahlen 2007, sonst ganz passabel)
- Ost Kongo (Heimat des Kivu Krieges und Schauplatz millionenfacher Vertreibungen)
- Südkongo (bekannt für unermessliche Kupfervorkommen ist die Katanga Provinz ein ständiger Sezessionskandidat)
- West Angola (27 Jahre Bürgerkrieg sprechen für sich)
- Mosambik (eines der ärmsten Länder der Welt, hat immerhin aber hohe Wachstumszahlen)
- Madagaskar (im Inselstaat regiert derzeit das Militär und es hagelt kräftig internationale Sanktionen)
- Botsuana (36% der Erwachsenen sind HIV infiziert, gemessen an seiner Einwohnerzahl ein Zwergstaat, ist Botsuana allerdings immerhin eine stabile Demokratie)

Diese Länder müssten Europa ernähren! (Abgesehen von Kamerun, Mosambik und Botsuana, über die sich streiten lässt, bieten die potentiellen Lebensmittellieferanten ein trauriges Bild!) Was passiert, wenn Europa sich tatsächlich afrikanischen Agrarprodukten öffnet, seine eigenen Bauern, die niemals mit den Preisen der Dritten Welt konkurrieren könnten, ruiniert, die Felder veröden lässt und der Kontinent der Krisen plötzlich an mehreren Orten gleichzeitig kollabiert? Liberia, der Kongo oder Angola kommen wohl kaum als verlässliche Lieferanten in Frage und selbst Erzeugnisse aus dem vergleichsweise stabilen Botsuana müssten immer noch Simbabwe und Mosambik im Osten oder alternativ Namibia im Westen kreuzen, um überhaupt nach Norden verschifft werden zu können. Ist es nicht zu riskant, etwas so existentielles wie die eigene Nahrungsmittelversorgung vom Krisenreichsten Kontinent abhängig zu machen?

Die große Frage bleibt daher:
Wenn ausländische Hilfen zurückgefahren werden, der Norden jedoch aus Sicherheitsgründen seine Märkte nicht öffnen will, wie finanzieren sich dann die afrikanischen Staaten?