Der Kalte Krieg ist wieder da
DIE ZEIT
»Der Kalte Krieg ist wieder da«
Entwicklungshilfe ist eine Waffe im Kampf um Öl, Erze und Absatzmärkte: Ein Interview mit dem amerikanischen Friedensforscher Michael T. Klare
DIE ZEIT: Bei Entwicklungshilfe denkt man zunächst an Wohltaten aus humanitären Gründen: Hungerhilfe für die Ärmsten, Krankenhäuser, Straßenbau und Projekte zur Wasserversorgung. Sie halten das vermutlich für hoffnungslos naiv.
Michael T. Klare: Es ist ja kein großes Geheimnis, dass Entwicklungshilfe auch den Interessen der Geber dient. Reichen Ländern schadet es, wenn Sicherheitsprobleme in gescheiterten Staaten entstehen, wenn sich Krankheiten um den Erdball ausbreiten, wenn arme Menschen massenhaft aus Afrika und Lateinamerika auswandern. Aber darauf wollten Sie mit Ihrer Frage wahrscheinlich gar nicht hinaus…
ZEIT: Nein, es geht um die These, die Sie seit Jahren lautstark vertreten: dass uns ein neuer Kalter Krieg um Öl, Eisenerz, Kupfer und Diamanten bevorsteht. Bekommt die Entwicklungshilfe da ebenfalls eine neue Rolle zugewiesen?
Klare: Ja, und mit dieser Meinung bin ich nicht alleine. Hören Sie sich die Begründungen an, die das amerikanische Außenministerium für seine Entwicklungshilfe in Afrika vorbringt. Die sagen, dass es ums Öl geht. Bei den Chinesen ist es genauso. Vor den Vereinten Nationen klingen ihre Reden etwas anders, da wird das Humanitäre betont, aber intern und untereinander reden die Klartext.
ZEIT: Klartext?
Klare: Öl, Gas, Kupfer und andere Zutaten für unsere industrielle Produktion werden knapp. Zumindest reicht die jetzige Förderung nicht mehr aus, um die steigende Nachfrage zu befriedigen, die von den aufsteigenden Riesen China und Indien ausgehen wird. Also gibt es jetzt diesen Wettbewerb um Rohstoffe und ein gewaltiges Interesse an rohstoffreichen Ländern in Afrika, Lateinamerika, Südostasien oder Zentralasien.
ZEIT: Die Chinesen siedeln ja ganze Baukolonnen aus China nach Afrika um, bauen dort Straßen, Eisenbahnen und vieles mehr. Alles fürs Öl?
Klare: Sie betreiben einen bemerkenswerten Aufwand.
ZEIT: Kritiker aus der etablierten Entwicklungshilfeszene beschweren sich, dass die Chinesen sich dabei um Menschenrechte und Demokratie nicht scherten, dass sie ihre Hilfen korrupten Eliten in Angola genauso anböten wie dem mörderischen Regime im Sudan.
Klare: Ja, solche Vorwürfe sind zurzeit auch bei Washingtoner Politikern sehr beliebt. Man ignoriert dabei aber, dass die USA sich kaum anders verhalten. Auch wir unterstützen undemokratische Regimes und helfen Despoten. Schauen Sie sich Äquatorial-Guinea an, wo Amerikaner und Chinesen gerade gleichermaßen eine Diktatur umwerben, oder Angola und Nigeria. Wenn es ums Öl geht, macht keiner einen Unterschied.
ZEIT: In Lateinamerika ist zurzeit etwas ganz anderes zu beobachten: Da bietet der Präsident eines reichen Öllandes seinen Nachbarländern technische und andere Wirtschaftshilfen an – nämlich Hugo Chávez, der in Venezuela seine Öl- und Gasförderung verstaatlicht hat.
Klare: Chávez benutzt Venezuelas Öl- und Gasreichtum, um einen unabhängigen Machtblock in Südamerika und der Karibik aufzubauen. Das ist eine Form von Gegenwehr, er will den amerikanischen Einfluss in der Region verringern. Ich habe bisher keine Hinweise darauf, ob die USA schon ihrerseits ökonomische Hilfen einsetzen, um dagegenzuhalten; ich weiß nur von militärischer Hilfe für Kolumbien, einen alten Rivalen Venezuelas und ebenfalls ein Ölland.
ZEIT: In der Europäischen Union hört man solche knallharten geopolitischen Argumente für Entwicklungsarbeit eher selten. Ist Europa die letzte Bastion selbstloser Hilfe?
Klare: Großer Gott, nein. Besonders die Franzosen unterhalten in ihren alten Kolonien enge Beziehungen, die sie auch nicht aufgeben wollen, und sie waren in der Vergangenheit nicht gerade zimperlich. Auch hier geht es um Rohstoffe.
ZEIT: Sehen Sie das nicht sehr einseitig? Die Vereinten Nationen und die G8-Nationen haben sich das Ziel gesetzt, weltweit die Armut und viele Krankheiten auszurotten. In den vergangenen Jahren ist eine Fülle neuer Programme angelaufen, die vor allem den Ärmsten in Afrika helfen sollen.
Klare: Ich trage keine rosa Brille. Ich beschäftige mich mit dem globalen Konflikt um Energie, und der wird im Augenblick immer bitterer geführt. Sie sehen doch, wie Wladimir Putin die Staatskontrolle über die russische Energieindustrie ausbaut und welche Ängste das bei Ihnen in der Europäischen Union auslöst. Also versucht die EU, ihre Verbindungen zu Afrika auszubauen, um dort alternative Energielieferanten zu haben. Es gibt also neue Gründe, afrikanischen Regimes näher zu kommen. Aus genau diesem Grund wird auch Entwicklungshilfe nach Afrika fließen
ZEIT: Ein großer Teil der Entwicklungshilfe wird gar nicht bilateral von einzelnen Geberländern geleistet, sondern durch Weltorganisationen wie die Weltbank geschleust. Ist das ein geeigneter Weg, eigennützige Interessen auszuklammern?
Klare: Die Weltbank ist von Einflüssen der reichen Länder ja nicht frei, und vom US-amerikanischen Einfluss schon gar nicht. Nehmen Sie ein Beispiel: den umstrittenen Bau einer Pipeline vom Tschad nach Kamerun, der im Jahr 2000 begann. Da mischte sich die Weltbank in einem entscheidenden Moment ein und lieferte entscheidende Hilfe, damit das Projekt zustande kam. Sie begründete das mit entwicklungspolitischen Argumenten, doch in Wahrheit lag es auf der Hand, dass es um den Zugang reicher Länder zu diesen Rohstoffen ging.
ZEIT: Wie kommen Sie zu diesem Urteil?
Klare: Das ist das Urteil der Weltbank. Vor einem Jahr wurde eine Bewertungsstudie veröffentlicht, die sie selber in Auftrag gegeben hatte, und darin stand: Den Menschen in der Region hat das Projekt fast nichts genützt. Die Autoren forderten für die Zukunft ein Moratorium für solche Projekte. Das wurde dann völlig unter den Tisch gekehrt.
ZEIT: Es klingt so, als unterstellten Sie der Weltbank und den reichen Ländern Denkweisen aus den Zeiten der Kolonisierung.
Klare: Ich scheue mich nicht, das Wort vom Neokolonialismus zu verwenden.
ZEIT: Das wiederum ist ein Begriff, der zur Zeit des Kalten Krieges entstand.
Klare: Im letzten Jahr hat der republikanische Kongressabgeordnete Donald Payne im außenpolitischen Ausschuss gesagt, es gebe einen »neuen Kalten Krieg in Afrika«. Ihm ging es dabei um die Chinesen. Dieser Begriff fällt jetzt immer mal wieder in Washington. Im Kalten Krieg wurde Entwicklungshilfe ganz ausdrücklich als Waffe im globalen Kampf gegen den Kommunismus gesehen. Eine ähnliche Situation kommt jetzt wieder.
ZEIT: Kommt dabei denn am Ende Positives heraus? Man könnte sich ein Wettrennen um die bessere Entwicklungshilfe vorstellen, weil die reichen Nationen um Rohstoffe buhlen.
Klare: Ja, aber erst einmal ist es ein Rennen um die Gewinnung von Öl und Rohstoffen. Dabei spielt Entwicklungshilfe eine Rolle, sie ist das Zückerchen, das man diesen Ländern anbietet.
ZEIT: Egal, aus welchem Grund, Hauptsache, es wird geholfen.
Klare: Ja, natürlich. Ich will auch fair sein und nicht alles allein aufs Öl schieben, es gibt noch andere Absichten. China zum Beispiel will in Afrika auch einen Markt für seine billigen Produkte schaffen. Die chinesische Entwicklungs-hilfe dient also auch dazu, genug wirtschaftliche Dynamik und Einkommen zu schaffen, sodass die Leute Produkte aus China kaufen können. Dieses Motiv ist ja auch der amerikanischen und europäischen Entwicklungshilfe nicht fremd.
ZEIT: Noch ein Grund, künftig mit mehr Entwicklungshilfe zu rechnen.
Klare: Richtig, aber werden Sie nicht übermütig. Die reichen Länder setzen in solchen Konflikten nicht nur Zuckerbrot ein. Da gibt es auch noch die Peitsche in der Form militärischer Eingriffe. Ich beobachte schon heute eine massive Zunahme militärischer Hilfen und Waffenverkäufe in Afrika – sie kommen aus den USA wie auch aus China. Das könnte zur finsteren Kehrseite dieser neuen Welle der Entwicklungshilfe werden.
Michael T. Klare lehrt Friedensforschung und Sicherheitspolitik am Hampshire College und an der Universität Massachusetts und gilt als ein führender Experte für Rohstoff-Konflikte. In seinem jüngsten Buch »Blut und Öl«, auf Englisch erschienen bei Metropolitan Books, sagt er eine Welle neuer Konflikte um die Energieversorgung voraus
Das Interview führte Thomas FischermannZum Thema
Entwicklungshilfe und -politik - Ein Schwerpunkt mit Hintergrundberichten und Reportagen »
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen