Diskussion über Themen der Entwicklungszusammenarbeit (EZ) in/mit Westafrika einschließlich (und vor allem) der politischen sowie sozio-ökonomischen Bedingungen in den Ländern und was EZ bewirken kann -- oder auch nicht -- oder ob sie aber nicht sogar schadet. ACHTUNG: In Ermangelung von Kommentaren lediglich Beiträge zu EZ-Themen. _________________________________________________________________

22. Dezember 2005

Armut auch bei uns

Salzburger Nachrichten vom 14.12.2005

Der Standpunkt:

Die Armen haben keine Lobby

VERONIKA CANAVAL

Weihnachten im Jahr 2005: Der Handel jubelt über kräftige Umsatzzuwächse. Die Handelsforscher rechnen uns vor, dass jeder von uns statistisch rund 350 Euro für Weihnachtsgeschenke ausgeben wird. Und eine allein erziehende Mutter schreibt Briefe an Fußballklubs, in denen sie um Fußbälle oder Dressen bittet, weil sie kein Geld hat, um ihren drei Buben Weihnachtsgeschenke zu kaufen.

Ein Einzelfall? Keineswegs. Noch nie war die Finanzlage vieler Menschen so prekär wie in diesem Jahr.
Sozialhilfeorganisationen berichten, dass ihnen das Geld für Soforthilfen ausgeht. Bei den Schuldnerberatungen betragen die Wartezeiten bereits drei Monate und mehr. Eine wachsende Zahl von Menschen ist mit den Zahlungen für Miete, Strom und Heizung im Rückstand. In dieser Situation wird Weihnachten mit seinem ständig größer werdenden Konsumdruck für viele zum Problem. Ein Problem, das einige dadurch lösen, indem sie zusätzliche Schulden anhäufen und andere, indem sie um Geschenke für ihre Kinder betteln. In der Öffentlichkeit hört man davon freilich wenig bis nichts Die Betroffenen selbst schweigen - der Begleiter der Armut ist die Scham. Und eine starke Lobby nach dem Muster der Bauern oder der Eisenbahner haben die Armen nicht. Es gibt zwar viele Menschen und Organisationen, die ihnen helfen, aber diese sind viel zu sehr damit beschäftigt, die alltägliche Not zu lindern, als dass sie Zeit für publikumswirksame Aktionen aufbringen könnten.

Es liegt daher an uns allen, unsere Aufmerksamkeit verstärkt auf das Problem der Armut in unserem Land zu richten. Dafür sollte trotz Konsumrummels Zeit bleiben, erst recht in der Vorweihnachtszeit.

Agrarsubventionen

Kollege Chirac spielt den großen Afrika-Freund auf der Franceafrique im Senegal. Seine Politik der franz. Agrarsubventionen beuteln nicht nur uns, sondern vor allem auch Afrika. Wie einige Kommentare zum Blog von U.Specht ( http://blog.zeit.de/kosmoblog/ ) allerdings zeigen, ist aber auch hier schwarz-weiß Denken zu einfach.

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Mut zum Freihandel

Denis MacShane, ehemaliger britischer Europaminister, appelliert in einem Beitrag für den Tagesspiegel an die neue Bundesregierung, das unter Schröder eingegangene Schutz- und Trutzbündnis mit Paris aufzugeben. Blair habe sich in Sachen Britenrabatt bewegt. Doch anstatt

diese Gesinnungsänderung zu begrüßen, bestehen allerdings andere reiche europäische Länder weiterhin darauf, dass sie ihrerseits sich nicht bewegen und etwa auf Gespräche über eine Reform des Agrarhaushalts einlassen müssen. Sie verfahren nach der Devise: „Was wir haben, behalten wir, was Großbritannien hat, verhandeln wir weg.” (…)

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat in London zu Recht darauf hingewiesen, dass der EU-Haushalt nicht von einem einzelnen Land abhängt. Deutschland kann nun vorangehen und deutlich machen, dass die geheime Absprache zwischen Gerhard Schröder und Jacques Chirac, wonach die protektionistische gemeinsame Agrarpolitik bis 2013 erhalten bleiben soll, jetzt von der neuen reformfreudigen Koalitionsregierung in Berlin noch einmal überdacht werden könnte. (…)

Wenn die Agrarprotektionisten in der EU also einseitige Opfer aus London erwarten, werden sie enttäuscht sein. Und da ein Sieg des Agrarprotektionismus in der EU auch die Chancen auf eine Einigung in der WTO zunichte macht, sind die Aussichten auf eine neuen Schub für die Wirtschaft Europas und der Welt trübe.

Die alte EU ist nicht mehr, und damit ist auch die deutsch-französische Achse hinfällig. Im neuen Europa geht es um Koalitionen der Willigen: Man sucht sich seine Mehrheiten gemäß der eigenen Absichten und Interessen.

Den französischen Protektionismus zu sichern und zu schützen liegt nicht im deutschen Interesse. Deutschland ist mit Freihandel seit Jahrzehnten bestens gefahren (nur die Ideologie tut sich schwer damit).

Und wenn Länder ihre Bauern subventionieren wollen, so sollen sie das tun. Diese Aufgabe aber Europa aufzubürden ist kontraproduktiv, sie schadet der EU. Ganz abgesehen von den negativen Auswirkungen des Agrarprotektionismus für die “Dritte Welt”.

Sich von Chirac für die französischen Interessen einspannen zu lassen, daran den EU-Haushalt und die Welthandelsrunde scheitern zu lassen - das wäre nicht gerade ein guter außenpolitischer Einstieg für eine Regierung Merkel, die sich mehr “Mut zur Freiheit” auf die Fahnen geschrieben hat.

ulrich speck | 10:17



4 Leserbriefe und Trackbacks

1. it`s a pity, dass Denis MacShane den international Agrarhandel komplett ignoriert.
Wer hier von Bauern spricht (bzw. farmern) hat wohl immer noch nicht verstanden, dass die Lobby des Agrarsektors nicht smf
(small and medium farmers) sind sondern Agrarkonzerne, die ihre Profite durch die EU-Protektionspolitik absichern.

Warum hat das Zuckermonopol in Europa so lange funktioniert?

Wer hat wohl ein Interesse daran, dass z.B. Brasilien nicht auf den europäischen meatmarket kommt?

Wer immer noch mit der deutschen Illusion lebt:

>Im Märzen der Bauer die Rößlein anspannt
Kommentar von Frank | 02.12.2005 | 14:06


2. der scheint nicht zu realisieren, dass big business auch im Agrarsektor existiert und expandiert.

Die smfs (small and medium farmers) spielen doch nur eine geringe Rolle im agrobusiness.

Ein Besuch in Chicago bei der cme
http://www.cme.com

dürfte den Bauernromantikern die Augen öffnen.

P.S.

Brasilien versucht seit Jahren eine Öffnung des red and white meat market in der EU und den USA zu erreichen?

Australienm, Canada und die USA versuchen vergeblich die Weizenexporte nach Japan zu steigern.
Da Reis für die japanischen commodity trader sehr profitabel ist, versucht hier das japanische agrobusiness weiter den closed shop zu erhalten.

Auch beim globalen agrobusiness ist es das Ziel die regionalen Extraprofite zu sichern.
Why not???

Die Bauernromantik ist Vergangenheit:

water under the bridge
Kommentar von Frank | 02.12.2005 | 14:24


3. “Blair habe sich in Sachen Britenrabatt bewegt”
So groß ist die Bewegung allerdings nicht: http://news.bbc.co.uk/1/hi/uk_politics/4491190.stm
Ob sich die Freihändler damit zufrieden geben, wenn Chirac einer Reduktion der Agrarsubventionen um 15% zustimmt, darf bezweifelt werden.
Kommentar von AM | 02.12.2005 | 19:43


4. Die egoistische Politik der großen englischen Grundbesitzer in Irland verursachte eine Hungersnot von 1845-1847. 1.5 Millionen Iren starben an Hunger. Es folgte eine enorme Auswanderung nach Amerika, denn sie exportierten Getreide im Grossen Stil, während das Volk verhungerte.
Kommentar von Denn Du bist Deutschland | 04.12.2005 | 16:22

Etwas über die Müllers; oder: Warum fangen wir nicht bei uns an?

Mal etwas anderes, damit wir hier nicht den Blick für die Realitäten zu Hause verlieren. Muss ja nicht genau so gewesen sein. Warum haben wir immer so schlaue (und so viele!) Ratschläge für unsere "Partner" im Süden auf Lager, kriegen aber unsere eigene Chose nicht auf die Reihe?

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Eine schöne Geschichte über Herrn Müller.

Das hier, das ist der Herr Müller. Der Herr Müller kommt aus Aretsried, das liegt in Bayern, also ganz im Süden. Der Herr Müller ist ein Unternehmer und das, was in den Fabriken von Herrn Müller hergestellt wird, habt ihr sicher alle schon mal gesehen, wenn ihr im Supermarkt wart. Der Herr Müller stellt nämlich lauter Sachen her, die aus Milch gemacht werden. Naja, eigentlich stellen die Kühe die Milch her, aber der Herr Müller verpackt sie schön und sorgt dafür, daß sie in den Supermarkt kommen, wo ihr sie dann kaufen könnt.

Die Sachen, die der Herr Müller herstellt sind so gut, daß sogar der Herr Bohlen dafür Werbung gemacht hat. Weil der Herr Müller ein Unternehmer ist, hat er sich gedacht, er unternimmt mal was und baut eine neue Fabrik. Und zwar baut er sie in Sachsen, das ist ganz im Osten.

Eigentlich braucht niemand eine neue Milchfabrik, weil es schon viel zu viele davon gibt, und diese viel zu viele Milchprodukte produzieren, aber der Herr Müller hat sie trotzdem gebaut. Und weil die Leute in Sachsen ganz arm sind und keine Arbeitsplätze haben, unterstützt der Staat den Bau neuer Fabriken mit Geld. Arbeitsplätze hat man nämlich im Gegensatz zu Milchprodukten nie genug.

Also hat der Herr Müller einen Antrag ausgefüllt, ihn zur Post gebracht und abgeschickt. Ein paar Tage später haben ihm dann das Land Sachsen und die Herren von der Europäischen Union in Brüssel einen Scheck über 70 Millionen Euro geschickt. 70 Millionen, das ist eine Zahl mit sieben Nullen, also ganz viel Geld. Viel mehr, als in euer Sparschwein passt.

Der Herr Müller hat also seine neue Fabrik gebaut und 158 Leute eingestellt. Hurra, Herr Müller. Nachdem die neue Fabrik von Herrn Müller nun ganz viele Milchprodukte hergestellt hat, hat er gemerkt, daß er sie gar nicht verkaufen kann, denn es gibt ja viel zu viele Fabriken und Milchprodukte. Naja, eigentlich hat er das schon vorher gewußt, auch die Herren vom Land Sachsen und der Europäischen Union haben das gewußt, es ist nämlich kein Geheimnis. Das Geld haben sie ihm trotzdem gegeben. Ist ja nicht ihr Geld, sondern eures. Klingt komisch, ist aber so. Also was hat er dann gemacht, der Herr Müller?

In Niedersachsen, das ist ziemlich weit im Norden, hat der Herr Müller auch eine Fabrik. Die steht da schon seit 85 Jahren und irgendwann hatte der Herr Müller die gekauft. Weil er jetzt die schöne neue Fabrik in Sachsen hatte, hat der Herr Müller die alte Fabrik in Niedersachsen nicht mehr gebraucht, er hat sie geschlossen und 175 Menschen haben ihre Arbeit verloren.

Wenn ihr in der Schule gut aufgepasst habt, dann habt ihr sicher schon gemerkt, daß der Herr Müller 17 Arbeitsplätze weniger geschaffen hat, als er neu aufgebaut hat. Dafür hat er 70 Millionen Euro bekommen.

Wenn ihr jetzt die 70 Millionen durch 17 teilt, dafür könnt ihr ruhig einen Taschenrechner nehmen, dann wißt ihr, daß der Herr Müller für jeden vernichteten Arbeitsplatz über 4 Millionen Euro bekommen hat. Da lacht er, der Herr Müller. Natürlich nur, wenn niemand hinsieht. Ansonsten guckt er ganz traurig und erzählt jedem, wie schlecht es ihm geht.

Aber der Herr Müller sitzt nicht nur rum, sondern er sorgt auch dafür, daß es ihm besser geht. Er ist nämlich sparsam, der Herr Müller. Sicher kennt ihr die Becher, in denen früher die Milch von Herrn Müller verkauft wurden. Die schmeckt gut und es passten 500 ml rein, das ist ein halber Liter. Seit einiger Zeit verkauft der Herr Müller seine Milch aber in lustigen Flaschen, nicht mehr in Bechern. Die sind praktisch, weil man sie wieder verschließen kann und sehen hübsch aus. Allerdings sind nur noch 400 ml drin, sie kosten aber dasselbe. Da spart er was, der Herr Müller. Und sparen ist eine Tugend, das wissen wir alle.

P.S. Der Herr Müller könnte natürlich auch Schmid, Meyer oder XY heißen.

Es muss ja nicht immer Amerika bashing sein ...

Gerade in Westafrika machen wir es uns wg. der Subventionierung der Baumwolle in den USA oft einfach und kritisieren die Amis. Und übersehen dabei gerne den Splitter, wenn nicht gar Balken im eigenen Auge.
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Die Doha-Runde

Es ist noch gar nicht so lange her, da beherrschten für ein paar Tage Bilder von erbarmungswürdigen afrikanischen Flüchtlingen unsere Zeitungen. Bilder von Leuten, die ihr Leben riskieren, die den halben afrikanischen Kontinent zu Fuß durchqueren, in der Hoffnung, daß sie in Europa ein etwas besseres Leben erwartet. Sie bekamen stattdessen eine menschenunwürdige Behandlung durch europäische Behörden und sie erlebten Deportationen, die ohne Lebensmittel und Wasser in der Sahara enden konnten. Das alles wird auch jetzt gerade wieder passieren, nur ist es eben als Schlagzeilen-Thema schon wieder überholt.

Wir hörten damals viele warme Worte von europäischen Politikern. Natürlich könne man diese Flüchtlinge nicht in Europa aufnehmen, aber wir hätten doch als Europäer die Aufgabe, dafür zu sorgen, daß es ihnen in ihren Heimatländern besser geht. Europa solle sich dafür engagieren, daß Afrika sich endlich entwickelt und das Leben dort ein wenig erträglicher wird. Warme Worte, wie gesagt. Und ich bin mir sicher, daß in den europäischen Ministerien für Entwicklungshilfe auch schon sehr eifrig an dem einen oder anderen symbolischen Projekt gearbeitet wird. Die Sorte Projekt, die nicht viel kostet und die vor allem darauf hinausläuft, daß ein Minister oder eine Ministerin das eine oder andere schwarze Baby auf den Arm nimmt, freundlich lächelnd einen Brunnen einweiht und zwei oder drei gute Bilder für die Pressemappe schießen läßt. Symbolische Entwicklungspolitik, bei der Symbole produziert werden, die vor allem europäischen Entwicklungspolitikern helfen.

Man könnte natürlich auch das Naheliegende tun und die Mitte Dezember in Hong Kong beginnenden Verhandlungen im Rahmen der WTO-Doha-Runde nutzen, um Agrarzölle zu senken oder noch besser, um sie abzuschaffen. Man könnte endlich die Märkte der ersten Welt für die Güter öffnen, die in Afrika nunmal vorrangig produziert werden. Man könnte Entwicklungspolitik betreiben, indem man schlicht und einfach den Markt entfesselt. Das würde nur wenige gute Pressefotos für Entwicklungspolitiker bringen, aber für Afrika wäre es eine gigantische Chance, endlich an der Globalisierung teilzunehmen und seine Entwicklung durch eigene Leistungen zu sichern.

Es ist übrigens die Europäische Union, die gerade noch so viele warme Worte an den afrikanischen Kontinent gerichtet hatte, die eine Senkung der Agrarzölle im Rahmen der Doha-Runde blockiert. Die USA drängen im Gegenteil darauf, daß dies endlich passiert. Natürlich ist auch die amerikanische Position in den Verhandlungen nicht makellos. Die Baumwoll-Lobby beispielsweise konnte durchsetzen, daß die USA sich gegen eine Befreiung dieses Marktes von Handelsschranken einsetzen. Aber aus einer afrikanischen Perspektive sind die USA mit ihrer im großen und ganzen auf einen Abbau von Agrarzöllen gerichteten Position wesentlich hilfreicher für Afrika als es die Europäer sind.

Man kann gar nicht genug betonen, wie dumm und kurzsichtig dieser offensichtlich nicht zu beseitigende europäische Protektionismus in der Landwirtschaft ist. Die Europäische Union läßt sich bereitwillig als Geisel sehr kurzfristiger Interessen vor allem französischer und deutscher Agrarlobbies instrumentalisieren. Diese Haltung gegenüber dem ärmsten Kontinent wäre schon aus moralischen Gründen schäbig. Aber sie ist auch noch dumm. Denn es sind nicht Amerikaner, die sich von afrikanischen Flüchtlingsströmen bedroht fühlen, sondern es sind Europäer. Es sind eigentlich nicht die Amerikaner, die daher ein akutes Interesse an einer schnellen Entwicklung Afrikas haben müßten, sondern die Europäer sollten dieses Interesse haben. Aber sie vergessen ihre Interessen und lassen sich stattdessen von protektionistischen Aktivisten-Clowns wie Jose Bove eine dumme und unmoralische Politik aufzwängen.

Posted by Statler on Wednesday, November 23rd, 2005 at 10:05 am

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