© DIE ZEIT, 11.10.2007 Nr. 42
Die Demokratie der Armen
Von Charlotte Wiedemann
Mali zählt zu den ärmsten Ländern der Welt – und ist dennoch ein Vorbild für Afrika. Dörflicher Bürgersinn bricht Clan-Wirtschaft und Korruption
Der Beitrag ist zwar etwas langatmig, beschreibt aber einfühlsam den langen Weg zur Demokratie. Charlotte Wiedemann zeigt vor allem auf, dass die EZ zunächst kleine Pflänzchen in den kargen Sahelboden steckt, oft ohne einheimische Wurzeln, und dann diese Pflänzchen durch eigene, lokale Initiative -- auch unter Gefahr für Leib und Leben -- weiter entwickelt werden müssen -- natürlich weiterhin gepäppelt mit (moderaten) finanziellen Mitteln und institutioneller Protektion nördlicher Organisationen. Es gibt nicht den großen Wurf! Man darf nicht vergessen, wie lange es in Deutschland gedauert hat, eine funktionierende Demokraie zu etablieren: Über die späte Nation, die erst 1871 durch einen Sieg über Frankreich "zur Vollendung" kam, den Verirrungen des Kaiserreichs, einer Demokratie ohne Demokraten während der Weimarer Republik und dann das Desaster 1933, das in einen von deutschem Boden entfesselten Weltkrieg mündete und in Europa alleine zu ca. 40 Millionen Toten geführt hat. Erst mit Hilfe von außen -- ja auch und vor allem der Amerikaner -- entstand dann das, was wir heute Bundesrepublik Deutschland nennen. Wir sollten also unseren langen Weg nicht vergessen, vor allem auch wegen der Gefahren, denen gegenwärtig die demokratischen Errungenschaften durch Rechts ausgesetzt sind! Überheblichkeit ist bei uns angesichts staatlicher Angriffe auf die Pressefreiheit auch nicht angesagt, vor allem vor dem Begründungshintergrund, das alles diene dem Kampf gegen den Terrorismus.
Auszug:Mali hat alles, was eine Demokratie in formaler Hinsicht ausmacht: Wahlen, Parteien, ein Parlament. Auch deshalb – und nicht nur, weil Mali arm ist – fließt viel Entwicklungshilfe. Die meisten der 14 Millionen Malier fühlen sich in dieser Demokratie allerdings wie bloße Statisten. Viele tragen T-Shirts mit dem Slogan einer Partei oder nähen sich Gewänder, die in ihrem Muster eine politische Botschaft zeigen; die Stoffe werden zu bestimmten Anlässen billig auf den Markt geworfen. Spricht man jemanden an auf eine solche Kleidung, dann schaut er verwundert an sich herunter: Oh, was steht denn da?!
Jeden Abend sitzen in den Nachrichten des Staatsfernsehens Malier wie Musterschüler an den Tischen von Workshops und Seminaren; der Ton variiert dazu die Stichworte »Partizipation, Ausbildung, Aufklärung, Frauen« – die Endlosschleife eines Gefälligkeitsdiskurses gegenüber den externen Geldgebern. Dazwischen taucht ein weißes Gesicht auf, der Gesandte von X, die Botschafterin von Y verspricht mehr Hilfe für Partizipation, Aufklärung, Frauen. Noch mehr Hilfe? Es klingt wie eine Drohung.
Der Generalkontrolleur der Regierung präsentiert seinen Jahresbericht: Mehr als 100 Milliarden afrikanische Franc CFA, etwa 150 Millionen Euro, wurden vom Staat unterschlagen, missbraucht oder fehlgeleitet. Das entspricht 70 Prozent aller staatlichen Gehälter, schreibt die Zeitung Les Echos und faucht: »Volksfeindlicher Vampirismus!«
Schätzungsweise ein Drittel der gesamten ausländischen Hilfsgelder verschwindet auf diesem Weg. Im Erziehungsministerium nahm die Korruption jedem malischen Schulkind quasi ein Buch vor der Nase weg. Das Energieministerium verbuchte an einem einzigen Tag den Ankauf von Tee mit Zucker für knapp 17000 Euro. Und das war – Gipfel der Schamlosigkeit! – an einem Sonntag, recherchierten malische Journalisten. Teebeutel heißen in Mali schlicht »Lipton«, nach der üblichen Marke; Lipton ist nun ein Codewort für Korruption.
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