Diskussion über Themen der Entwicklungszusammenarbeit (EZ) in/mit Westafrika einschließlich (und vor allem) der politischen sowie sozio-ökonomischen Bedingungen in den Ländern und was EZ bewirken kann -- oder auch nicht -- oder ob sie aber nicht sogar schadet. ACHTUNG: In Ermangelung von Kommentaren lediglich Beiträge zu EZ-Themen. _________________________________________________________________

14. November 2006

Stiglitz, der Hypokrat!

Mein Kommentar: Es ist kaum zu glauben: Nachdem er mit seinem Rat ganze Generationen in Afrika und anderswo um ihre Zukunft gebracht hat, kommt er jetzt daher, als sei nichts gewesen; und hat schlaue Ratschläge (die übrigens, würden sie "Mainstream" werden, gar nicht schlecht sind)!

http://zeus.zeit.de/text/2006/46/ST-Stiglitz

Mücke und Elefant

Der Markt löst das Armutsproblem nicht. Joseph Stiglitz, Ökonom und Nobelpreisträger, entwirft eine gerechtere Globalisierung.

Von Thomas Assheuer

Die Euphorie über die Globalisierung ist vorüber, ihre Propagandisten sind kleinlaut geworden. Dabei waren die Versprechen, die nach dem Fall der Mauer in die Welt gesetzt wurden, durchaus faszinierend. Wenn die Weltwirtschaft schrankenlos wachse und gedeihe; wenn auf dem Erdkreis alle Handelshemmnisse beseitigt und die Kapitalinvestoren überall freie Hand bekämen, dann werde die Menschheit einer leuchtenden Zukunft entgegensehen. Früher oder später würde der Wärmestrom der Globalisierung alle Boote erfassen, auch die der Armen und Elenden, und sie hinaustragen in ein Meer aus Wohlstand und Freiheit.

Kaum jemand hat kenntnisreicher seine Zweifel an diesem marktgängigen Zukunftsversprechen vorgetragen als Joseph Stiglitz, seines Zeichens Nobelpreisträger für Ökonomie, ehemaliger Chef-Volkswirt der Weltbank und Berater der Clinton-Regierung. Stiglitz weiß, wovon er spricht, denn er ist aus Erfahrung klug geworden. Viele Weichenstellungen der neunziger Jahre, schreibt er selbstkritisch, seien falsch gewesen, ungerecht und von westlicher Arroganz getragen. Deshalb zweifelten immer mehr Menschen daran, »dass die Kosten der Globalisierung – niedrige Löhne, wachsende Arbeitslosigkeit – die vermeintlichen Vorteile überwiegen«.

Globalisierung ist für Stiglitz kein Schicksal; sie ist das Ergebnis politischer Steuerung und der Durchsetzung ökonomischer Theorien. Wären die Weichen anders gestellt worden, wäre es heute um die Welt besser bestellt. Entsprechend trostlos fällt in seinem neuen Buch Die Chancen der Globalisierung die Bilanz aus. Die Reichen sind reicher geworden, die Armen oft arm geblieben. Die Globalisierung hat weniger Menschen zu Wohlstand gebracht als erhofft; nur Indien und China bilden die spektakulären Ausnahmen. »Obgleich der Prozentsatz der in Armut lebenden Menschen rückläufig ist, steigt die absolute Zahl der Armen weltweit.«

Die Behauptung, Reichtum werde auf natürlichem Wege von oben nach unten zu den Armen durchsickern (»trickle down«), sei eine Fabel. Die Forderung, der Nationalstaat müsse sich klein machen wie eine Mücke und dem Elefanten des Kapitals das Feld überlassen, führe auf einen Irrweg. Tatsächlich erzeugten Märkte nicht von sich aus effiziente Ergebnisse oder »lösen das Armutsproblem«; womöglich werde es noch verschärft. Nur in der mythischen Welt der Freihandelsbefürworter komme der Abbau von Handelsschranken allen Menschen zugute, denn die »unsichtbare Hand des Marktes ist unsichtbar, weil es sie gar nicht gibt«. Auch der gern gesungene Refrain, Märkte sorgten langfristig für Vollbeschäftigung, sei falsch, denn langfristig »sind wir alle tot«.

Warum heute immer mehr Menschen glauben, die Globalisierung sei nur benutzt worden, um das angloamerikanische Wirtschaftsmodell durchzusetzen, ist für Stiglitz leicht zu erklären: Die Welthandels- und Weltfinanzordnung ist strukturell ungerecht; in ihr »fließt das Geld von unten nach oben«, von den Armen zu den Reichen. »Die Mindereinnahmen, die die reichen Ländern den armen Ländern durch Handelshemmnisse bescheren, sind dreimal höher als die gesamte Entwicklungshilfe, die sie leisten.« Mit begründetem Argwohn betrachtet Stiglitz das Treiben des Internationalen Währungsfonds (IWF), denn dieser »dient in erster Linie den Interessen der Industrieländer« und verfahre nach der Devise: »Wer hat, dem wird gegeben«.

So habe der IWF in Indonesien Geld bereit gestellt, um Bankenforderungen zu decken. Kein Geld gab’s, um Nahrungsmittel für Bedürftige zu subventionieren. Auch am Sachverstand dieser mächtigen Institution meldet Stiglitz Zweifel an. Bei der Asienkrise versagte sie; »in praktisch allen Fällen, in denen die Rezepte des IWF ausprobiert wurden, haben sie den Abschwung« verschlimmert. Absurd ist für ihn auch die Praxis des IWF, jede Art von Defizitverringerung zu belohnen, auch das Abholzen von Wäldern oder die Verschleuderung von Staatsvermögen.

Der Marktfundamentalismus hat Schiffbruch erlitten

Einmal in Schwung, entzaubert Stiglitz noch eine Reihe anderer neoliberaler Glaubenssätze. Dass die Liberalisierung der Kapitalmärkte – »ein Schlüsselelement marktfundamentalistischer Wirtschaftspolitik« – anhaltendes Wachstum erzeuge, hält er für ein Gerücht. Ausgerechnet der IWF habe längst stillschweigend eingeräumt, »dass Liberalisierung zu Instabilität und nicht zu Wachstum führt«. Nicht zufällig kehrten viele Länder dem Marktfundamentalismus den Rücken. »Indien und China erkannten, dass man mit Kapital, das von heute auf morgen kommt und geht, keine Arbeitsplätze schaffen kann.« So scheint die »Ära der Handelsliberalisierung« vorerst zu Ende zu sein. Während protektionistische Strömungen in den Industrieländern zunähmen, wendeten sich viele Entwicklungsländer vom Marktradikalismus des »Washington Consensus« wieder ab. Dieses Modell habe ausgedient. »Diejenigen, die sich daran hielten, erlitten Schiffbruch. Bestenfalls erreichten sie kümmerliche Wachstumsraten, schlimmstenfalls haben sie mit wachsender Ungleichheit und Instabilität zu kämpfen.«

Überaus beredt führt Stiglitz’ Klage über westliche Doppelmoral, über die Rhetorik der gespaltenen Zunge. Mit salbungsvollen Worten predigten Industrieländer dem Rest der Welt die Vorzüge der Demokratie; tatsächlich fördern sie oft genug die Korruption. Ölgesellschaften unterstützen repressive Regime mit Schecks; Konzerne, ansonsten »Schrittmacher des Technologie-Transfers«, plündern Bodenschätze. »Bestechung, Betrug und ungleiche Verhandlungsmacht beschneiden die Beträge, die rechtmäßig den Entwicklungsländern zustehen sollten.« Unternehmen »stehlen« das tradierte Wissen der Entwicklungsländer, um anschließend dafür Nutzungsgebühren zu verlangen. Besonders empört Stiglitz das Trips-Abkommen über den Schutz geistigen Eigentums. Als die Handelsminister dieses Abkommen unterzeichneten, verurteilten »sie Tausende Menschen in den ärmsten Ländern zum Tode«, weil sie ihnen damit den Zugang zu preiswerten Medikamenten verwehrten.

Junge Demokratien dürfen sich erst gar nicht bewähren

Überzeugend belegt Stiglitz, wie die Globalisierung jungen Demokratien das Leben schwer macht. Hierzulande wird gern und professoral von failing states geredet, von zerfallenden Staaten. Als Gründe werden Korruption und Schlendrian, überhaupt alle Formen von Misswirtschaft genannt. Das ist für Stiglitz nur die halbe Wahrheit. Staaten zerbrechen auch deshalb, weil sich die gewählten Regierungen erst gar nicht bewähren dürfen. Eben erst in die Freiheit entlassen, werden sie von Konzernen an die Kandare genommen oder vom IWF gezwungen, ihre Geldpolitik an »Experten« abzugeben. Kaum sind die alten Kolonialherren von der Bildfläche verschwunden, sitzen die neuen schon am Tisch.

So weit die Diagnose. Bei der Therapie zeigt sich der ansteckende Optimismus eines weltläufigen Ökonomen, der an die wohltätige Macht des Wachstums glaubt. Stiglitz sucht deshalb nicht Alternativen zur, sondern Alternativen innerhalb der Globalisierung. Er entwirft die Umrisse einer fairen Weltwirtschaft, die armen Ländern zugute kommt und dennoch den Interessen der Industrieländer gerecht wird. Er hofft auf einen weltweiten Gesellschaftsvertrag, auf eine globale Wettbewerbsbehörde mit eigenem Wettbewerbsrecht. Zunächst sollten die »Wohlstandsländer den ärmeren Ländern ihre Märkte öffnen, ohne von ihnen im Gegenzug das Gleiche zu verlangen«. Solange für viele Entwicklungsländer die Nachteile von Handelsabkommen deren Nutzen überstiegen, »werden immer mehr zu dem Schluss kommen, dass kein Abkommen einem schlechten vorzuziehen ist«. Die Stimmrechtsverteilung beim IWF und der Weltbank müsste geändert, und das Vetorecht der USA in diesen Institutionen eingeschränkt werden.

Zur Finanzierung öffentlicher Güter in Entwicklungsländern möchte Stiglitz grenzüberschreitende Kapitalströme ebenso besteuern wie Waffenverkäufe an Entwicklungsländer. Sammelklagen armer Länder sollen erleichtert, Prozesskostenhilfe und Rechtsschutz gewährt werden. Weil Entwicklungsländer derzeit »nicht annähernd den Gegenwert ihrer Ressourcen erhalten«, schlägt er vor, die Nutzungsrechte künftig zu versteigern. Alle Länder sollten eine CO2-Steuer erheben und über deren Erträge frei verfügen. »Wenn sich die USA weiterhin weigern, ihre Emissionen zu senken, sollten Handelssanktionen gegen sie verhängt werden.« Schließlich möchte Stiglitz das System der Weltwährungsreserven ändern und einen Weltdollar einführen, einen internationalen Greenback. Er soll verhindern, dass jährlich 750 Milliarden Dollar in Währungsreserven geparkt, also unproduktiv »weggeschlossen« werden. Bei allem aber stehe die Armutsbekämpfung im Mittelpunkt. Wenn die USA eine Billion Dollar für den Irak-Krieg ausgeben, »dann können sie sich weniger als 100 Milliarden Dollar jährlich leisten, um einen Krieg gegen die Armut zu führen«.

Die Hoffnung auf die Vereinigten Staaten ist enttäuscht

Stiglitz weckt Marktliberale und Systemtheoretiker der Luhmann-Schule aus ihrem dogmatischen Schlummer. Für einen Ökonomen schreibt er ausgesprochen verständlich; die eine oder andere polemische Spitze verrät einschlägige Leidenserfahrungen bei der US-Administration und der Weltbank. Wer sich bislang ratlos gefragt hatte, warum das Ansehen dieser Institutionen derart heruntergewirtschaftet ist, findet in seinem Buch viele Antworten. Doch für die harsche Kritik an den Vereinigten Staaten gibt es noch einen anderen Grund. Wie viele Liberale hatte Stiglitz seine Hoffnung auf das Selbstverständnis der USA, auf die Macht des Guten gesetzt – und ist nun tief enttäuscht. Nach dem Ende des Kalten Krieges hätten die USA die Weltordnung gerecht gestalten oder »ihren eigenen Interessen und denen ihrer multinationalen Konzerne« den Vorzug geben können. »Leider haben sie den zweiten Weg eingeschlagen.« Ausgerechnet das Land, dass die Globalisierung vorantrieb, »unterhöhlt mit der Schwächung der UN« die politischen Fundamente, die notwendig sind, um die Wirtschaftsglobalisierung »zu einer Erfolgsgeschichte zu machen«. Noch nie waren globale Institutionen so nötig wie heute. Doch »das Vertrauen in ihre Legitimität ist geschwunden.«

Nun fragt sich, wer Stiglitz’ Katalog in die Tat umsetzen soll. Denn wenn Amerika als treibende Kraft ausfällt, bleibt allein das vernünftige Selbstinteresse der Nationen. Die Alternative dazu wäre ein globaler Wirtschaftskrieg, der niemandem nützt. So bleibt vorerst nur die Einsicht, dass der Neoliberalismus angelsächsischer Prägung der Versuch war, die reale Welt mit einer ökonomischen Großtheorie in Deckung zu bringen. Diese Spielart des Kapitalismus hat die Welt verändert. Nun muss sie vor ihm verschont werden.
Joseph Stiglitz: Die Chancen der GlobalisierungAus d. Engl. von Th. Schmidt; Siedler Verlag, München 2006, 446 S., 24,95 €Die Chancen der GlobalisierungSachbuchJoseph StiglitzBuchAus d. Engl. von Th. SchmidSchmidtAus d. Engl. von Th.24,95Siedler Verlag, München 2006, 446

DIE ZEIT, 09.11.2006 Nr. 46

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